Summer of Sail

Autogenes Training III

Na, hat euch die Neugier wieder auf den Blog getrieben?  Nach der kleinen Vorstellungsrunde in meinem Kurs habe ich gleich mal mit unfassbarer Tollpatschigkeit brilliert. Ich muss entschuldigend berichten, dass ich seit der Chemo unter dem Phänomen Chemo Brain leide. Ich bin einfach unfassbar vergesslich. Bestimmte Dinge müssen einfach jeden Tag kontrolliert auf die gleiche Art und Weise passieren, damit ich mich erinnern kann. Schlüssel immer an den selben Platz, Brille immer an den selben Platz, Zopfhalter immer an den selben Platz. Weiche ich einmal von dieser Taktik ab, bin ich verloren.

So geschehen am Freitag. Man stelle sich nun folgendes Szenario vor. Im Halbkreis sitzen 11 Kursteilnehmer auf ihren Stühlen und sind gespannt auf die Erzählungen der Dozentin, die vor der Gruppe am PC sitzt und mit ihrer Power Point Präsentation startet. Thema: Stress.

Schritt 1, um gleich mal aufzufallen: Schubse deinen Rucksack um, den du nicht verschlossen hast, und sieh zu, wie der gesamte Inhalt auf dem Boden mitten im Kreis landet. 11 Augenpaare liegen auf dir und deinen gesammelten Werken: Stifte, Stempel, Tinte, Tampons (juche!), Namensschild von der Arbeit. Du schaust von links nach rechts und sammelst hochnervös deine sieben Sachen wieder ein. Du versuchst die Situation zu lockern „Stresslevel ist gleich mal bei 7“

Und dann schießt dir etwas in den Kopf: WO IST EIGENTLICH MEIN SCHLÜSSEL???

Wer kennt es? Absoluter Supergau. Dein Körper startet Stufe 1: Kann nicht sein, der muss doch hier sein. Ich durchforste geräuschvoll meinen Rucksack. Erst einmal, dann zwei Mal. Immer lauter. Ich suche meine sieben Sachen wieder raus. Zu meinen Stiften gesellen sich nun Salatkopf, Tomate, Käse und Butter für das Abendbrot. Am Ende liegt der Inhalt meines Rucksacks neben mir hinter einer Säule. Nur eines nicht: mein Schlüssel.

Stufe zwei beginnt: Was, wenn der nicht mehr auftaucht. Ich überlege also, was für Schlüssel denn so alles an meinem Schlüsselbund hängen. Autoschlüssel – ich komme nicht mehr nach Hause nach München. Mist. Hausschlüssel Christian – Okay, doof, aber den kann man glaub nachmachen. Hausschlüssel Mama – nicht schon wieder. Mama bringt mich um. (Ja, es ging schon mal einer pseudoverloren, denn er tauchte ein Jahr später beim Frühjahrsputz im Auto wieder auf). Schlüssel vom Airbnb – auch du grüne Neune! Die bringt mich um. Ich hab den Schlüssel keine 24 Stunden und er ist weg? Sie fährt mittags nach Bonn – ich komm nicht mehr in die Unterkunft. Wo soll ich bleiben? Wo soll ich schlafen? PANIK!

Stufe drei: Hilfe holen. Ich schreibe Chris an. Chris ist die Entspannung in Person. Ganz relaxt. Der wird schon irgendwo sein. Zum Besten gibt er noch, dass noch der Schlüssel zum Grundstück vom Ammersee sowie die Schlüssel zur Arbeit dran sind. Mein Szenario läuft weiter: Wieviele Schlösser müssen wohl in einer Uni gewechselt werden? Wo bin ich haftpflichtversichert? In welcher Höhe übernehmen die Kosten bei Schlüsselverlust? Christians Ratschlag: Ich überlege mir was. Du geh nochmal suchen.

Mein Kurs läuft und ich hab noch keine Minute aktiv zugehört. Ich versuche. Höflich zu sein und will auf die Mittagspause warten. In meinem Kopf geht weiter das Gedankenkreisen. Total kein autogenes Training gerade. Ich brauch jetzt wirklich Entspannung. Nach 5 Minuten halte ich es nicht mehr aus. Ich unterbreche die Kursleiterin und entschuldige mich: ich muss meinen Schlüssel suchen gehen.

Stufe vier: WO warst du überall? Wo kann dieser verdammte Schlüssel sein??? Ich gehe in Gedanken die möglichen Orte durch und verfluche mich selbst. Eigentlich hatte ich Chris einen Key Finder zu Weihnachten geschenkt. Es stellte sich heraus, ich brauch ihn mehr als er und er braucht den USB Stick, den er mir geschenkt hat, mehr als ich. Wir haben die Geschenke getauscht (angeblich verschenkt man ja oft Dinge, die man sich selbst gewünscht hat oder man selbst gebrauchen könnte). Aber ich hab das Ding abgestellt ☹ Es hat so unfassbar viel Akku gezogen, dass ich es nach drei Tagen abgestellt habe. Dieser Finder braucht dauerhaft Kontakt zum Handy, wenn er das USB Signal verliert, schlägt er Alarm. Auch in den unmöglichsten Situationen übrigens. Aber jetzt wäre es doch eine sehr sehr mögliche Situation. Es hilft nix. Graue Zellen an. Da ich mit dem Auto zum Kurs gefahren bin, schränkt sich die Zeit ein. Ich laufe alles rückwärts ab. Frühstückspause auf der Bank in der Fußgängerzone, wo mir torkelnd dieser betrunkene Mann entgegen kam. Negativ. Der Bäcker: negativ. Wo genau auf dieser Flaniermeile bin ich lang gelaufen? Ich versuch quer zu schauen. Negativ. Es bleibt eine letzte Möglichkeit, aber genauso wie ich froh darüber wäre, habe ich Angst, dass ich wirklich so unfassbar dumm gewesen bin. Ich laufe weiter in Richtung Parkhaus. Gehe zum Fahrstuhl und laufe zu meinem Auto. Es steht noch und in Spannung der Moment der Wahrheit: Ich nehm die Klinke und

Die Tür öffnet sich. Puh. Der Schlüssel ist hier. Er ist nicht im Schloss, aber das Auto wäre sonst abgeschlossen gewesen. Ich setze mich auf den Fahrersitz und schaue in meinem Umfeld. Woher habe ich Zeug geholt und eingepackt. Auf dem Beifahrersitz steht noch der Pappkarton, in dem die Einkäufe lagen. Abgedeckt mit meiner pinken Kuscheldecke und ganz gemütlich liegt darunter mein Schlüssel!!!

Ich habe ihn! Pure Erleichterung in mir! Und die Erkenntnis: ich bin absolut tollpatschig. Wie kann man sein Auto nicht abschließen? Standardmove oder? Anscheinend nicht bei mir. Ich schnappe also meinen Schlüssel und laufe zurück. Auf dem Weg überlege ich mir, was ich sage. Wie peinlich ist es bitte? Kleinlaut laufe ich in den Kursraum zurück, wedele mit meinem Schlüssel und erfahre Mitleid von allen Seiten. Gutes Parkhaus kommentiere ich. Leider typisch ich, gebe ich zu. Ich sinke auf meinen Stuhl und konstatiere: Stresslevel 9 von 10. Glücklicherweise starten wir direkt in eine Entspannungsübung: Körperreise.

Und es passiert etwas sehr Faszinierendes. Statt ewigem Grübeln, wie ich nur konnte und was das denn soll, folge ich den Worten und versuche mich in meinen Körper zu denken und lasse die Gedanken an meinen Schlüssel davonfliegen. Wow. Das funktioniert. Ich kann ja los lassen. Ich spüre tatsächlich Entspannung, auch wenn sich die Worte der Leiterin noch komisch anhören. Irgendetwas muss ja dran sein.

Vielleicht ist ja autogenes Training doch etwas für mich? Vielleicht ist ja autogenes Training doch etwas für unsere Urlauber auf der Yacht? Vielleicht ist ja autogenes Training auch etwas für dich im Urlaub – dann schau nach dem nächsten Törn, denn Spoiler:

Ich habe bestanden! 😉

Lese morgen mehr über meine Prüfung! Bis dahin Mast- und Schotbruch!

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