Summer of Sail

Und jetzt alle! SpongeBob Schwammkopf, SpongeBob Schwammkopf

Spongebob ist tot.

Der große Tag rückte näher. Ich musste zugegebenermaßen länger drauf warten. Ich hatte mich entschieden, dass ich mit dem Roboter Da Vinci operiert werden will. Kleine Narben. Operateur sitzt an einer Art Joystick unsteril am PC. Die beste Entscheidung überhaupt. Ich bereitete im Vornherein einiges an Papierkram vor. Mit 26 Jahren unterschrieb ich eine Patientenverfügung. Keine lebenserhaltenden Maßnahmen. Die Entscheidung sollen meine Mutter, mein Vater und meine Schwester treffen. Dann haben sie eine Mehrheit. Ich schrieb ein Testament über meine gesamtes Gut. Die OP-Vorbereitungen sind gelaufen. Ich ziehe OP Höschen an und Hemdchen und werde zum OP gefahren. Mein Name wird kontrolliert, ich komme auf den OP Tisch und werde in den Raum gebracht, wo die Narkose eingeleitet wird. Ich unterhalte mich mit meinem Anästhesisten. Bekomme eine Anästhesie in den Wirbelkanal, um die Schmerzen nach der OP zu behandeln und dann geht es los. Statt Gedanken an einen schönen Urlaub, will mein Kopf nur eines denken: hoffentlich R Null, hoffentlich kriegen sie alles raus. Sonst ist dein Kampf schon verloren.

Auf der Intensivstation wache ich langsam wieder auf. Im halbwachen Zustand taste ich meinen Bauch ab, ob ein Stomabeutel dort ist. Zum Glück nicht. Der Tubus schmerzt unendlich in meiner Kehle, ich will ihn ausspucken und aushusten Endlich wird er entfernt, ich darf frei und alleine atmen. Meine Mutter und Großmutter sind da. Meine ersten Worte: Spongebob ist tot.

Bild von Karo auf der Intensivstation
Karo auf der Intensivstation

 

Chemo oder keine Chemo

Die erleichternde Nachricht: der gesamte Tumor konnte komplett und ohne Probleme entfernt werden. Von der OP habe ich mich gut erholt. Unendlich viele Besucher, Blumen und liebe Worte machen den Aufenthalt leichter. Schier unendlich schein die Zeit bis endlich das pathologische Ergebnis da ist. Entscheidend ist, wie viele Lymphknoten schon betroffen sind. Brauche ich überhaupt eine Chemo. Vielleicht ist Spongebob nur schon groß gewesen, aber hat noch keinen Schaden verbreitet. Ich weiß noch, dass ich über das Wochenende heim durfte zum Erholen und dann wiederkommen musste. Meine Mutter hatte einen Urlaub gebucht für 1 Woche auf Mallorca mit Verwandten. Oma war ja da und Tina. Die hatten „Karo-Dienst“ für diese Zeit. Ich war alleine im Krankenhaus, es gab Frühstück- ein Croissant mit Nutella und ich durfte bei den Schwestern essen, mit denen ich ja schon oft zusammengearbeitet habe. In den entscheidenden Momenten erinnert man sich an alle Details. Vollkommen unbedarft ging ich nochmal zum Stationsarzt, ob das Ergebnis schon da sei. Viele Sorgen hatte ich mir nicht gemacht, selbst der Chefarzt war doch von einem guten Ergebnis ausgegangen. Wenn keine Lymphknoten oder maximal einer betroffen ist, dann komme ich um die Chemo drum herum.

Und dann stehen schließlich die Zeilen vor mir: T3 N2 M0. Eine kleine Buchstaben- und Zahlenkombination, die für jeden Krebspatienten die Welt bedeutet. T – ob der Tumor schon größer als das eigentliche Organ war. Bei T4 wächst er z.B. in andere Organe in der Nachbarschaft rein. M- steht für Metastasen. Ich habe keine. Entscheiden ist das N für Nodes, also die Lymphknoten. Beim Darmkrebs geht die Zahl von 0 für keine, über 1 für maximal drei betroffene Lymphknoten bis 2 für mehr als 4. Von meinen 16 untersuchten Lymphknoten sind 10 befallen. Meine kleine positiv gestimmte Welt bricht zusammen. Ich knabbere zwei Mal an meinem Croissant bis mich die Erkenntnis mit aller Wucht trifft. Ich verkrümele mich auf mein Zimmer. In diesem Moment hasse ich es, Medizin studiert zu haben. Wie leicht und schön müssen es Patienten haben, denen gesagt wird, dass der Befund nicht so schön ist und man nun eine Chemotherapie braucht. Aber ich weiß, was diese Zahlen genau bedeuten. Ich weiß, was ich in das google Feld eingeben muss, um die richtigen Überlebensraten zu finden für einen solchen Befund. Genug Studien wurden gemacht. Am Ende filtert mein Gehirn, die schlechteste Zahl heraus, die es finden konnte. 30%. Nur jeder Dritte mit meinem Befund lebt nach 5 Jahren noch. Und nun verstehe ich mit 26 Jahren den Begriff Todesangst.

Kunibert – das Chemoschwein

 

Keiner aus der Familie war auf einen solch schlimmen Befund vorbereitet. Meine Mutter erlitt einen Heulkrampf im Urlaub. Und um ehrlich zu sein, stellte ich alles in Frage. Soll ich überhaupt noch meine Eizellen einfrieren? Soll ich überhaupt eine Chemo machen, wenn ich doch eh bald sterben muss? Soll ich nicht lieber mein gespartes Geld nehmen und einfach weg. Raus in die Welt und noch entdecken und erkunden, was es zu sehen gibt, bevor es zu spät ist. Ist es feige, solche Gedanken zu haben? Oder ist es mutig, zuzugeben, dass auch solche Gedanken normal sind und geradezu gut, weil sie einen Trotz hervorrufen? Und dann kam Chris. Chris weiß nämlich offenbar viel besser, wie man google benutzt. Chris ließ alles stehen und liegen und durchforstete mehrere Studien. Am Ende haute er dem kleinen heulenden Elend (ich) seine Zahlen um die Ohren. 0,4% unter 30 erhalten die Diagnose Darmkrebs. Und mehr als 90% überleben das Ganze. Wenn er alle Studien zusammennimmt, dann kommt er eigentlich bei 120% raus und ich müsste am Ende, gesünder sein als vor der Krankheit. Wir entschlossen also, dass egal welche Studie nun stimmt, ich auf jeden Fall mal zu denen gehören werde, die nach 5 Jahren eine riesige Party schmeißen. Ich fasste Pläne von einem DJ und einer Pinata in Spongebob Form, die kaputt geschlagen wird. Und meine Mutter schickte mir ein Foto aus dem Urlaub. Ihr ist ein Luftballon zugeflogen. Ein buntes Schweinchen, das fortan mein Glücksbringer sein soll. Ich bekam noch meinen Port als Gefäßzugang für die Chemo und durfte endlich heim. Am 20. Juli sollte die erste Chemo stattfinden.

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