Summer of Sail

Zwangspause I

Wie viele Leute würden sich wohl über so eine kleine Zwangspause freuen? Einfach mal Beine hochlegen und Seele baumeln lassen. So viel freie Zeit und du kannst machen, was du willst? Was würde das sein?
Ausschlafen? Ein Buch lesen? Freunde treffen? Verreisen?

Aus tausenden schönen Dingen entscheide ich mich für das Schreiben von Bewerbungen. Von irgendetwas müssen wir ja leben. Glücklicherweise bekomme ich ja meinen Übergangspuffer von der Bundeswehr und Christians Eltern haben uns gestrandete Wesen aufgenommen. Dennoch ist ein Zuverdienst nicht schlecht, zumal Chris jetzt tatsächlich auch offiziell und wirklich arbeitslos ist.

Viel Auswahl gibt es nicht in der Umgebung, aber wie es der Zufall will arbeitet in der orthopädischen Rehaklinik vor Ort der ehemalige Chef von meinem Vater, bei dem ich einst Famulaturen gemacht habe. Ich tippe also wild drauf los, aktualisiere den Lebenslauf, formuliere ein neues Anschreiben und schicke meine Initiativbewerbung ab.

Zwei Stunden später klingelt mein Handy. Besagter Chef ist am Telefon. Er ist schlichtweg begeistert und sehr interessiert. Er will mich unbedingt sehen bevor er nach Japan in den Urlaub mit dem lokalen Kirchenchor fliegt. Wir quatschen 20 Minuten am Telefon, tauschen Informationen über unseren jeweiligen Lebenslauf aus und Insider-Wissen über die Zukunft des Klinikverbandes. Zwei Stunden nach meinem Klick habe ich einen neuen Job zugesichert. Chris ist perplex und versteht die Welt nicht mehr. Ich denke gute 10 Jahre zurück. Eines Abends sitze ich mit meinem Vater zusammen, der ebenfalls Arzt ist, und wir reden über Medizin. Mein Vater blüht bis heute auf, wenn es um die Medizin geht. Es war immer sein größter Wunsch und sein Traumberuf, auch wenn die Bedingungen nicht die Besten sind.

Ein Gespräch mit meinem Vater war damals auch der Grund, warum ich mich für das Medizinstudium entschieden habe. Ich hatte mich eigentlich für ein Studium "International Management & Law" in England beworben und wurde auch angenommen. Parallel lief die Bewerbung für Medizin in Deutschland.Es fiel mir schwer, mich zu entscheiden. Ich hatte dieses tolle europäische Abitur und hatte das Gefühl, dass ich daraus doch was besonderes machen sollte. Deswegen hatte ich die Bewerbungen in England eingereicht. Management stellte ich mir damals als eine gute Option vor, weil man da sicher super viel organisieren muss und ich das ja recht gut kann. Jetzt mit ein wenig mehr Lebenserfahrung weiß ich, dass man da ein wenig mehr können muss und wenn ich mir meinen Schwager anschaue, der zum Manager geworden ist, dann wäre ich in dem Beruf auch nicht glücklich geworden. Dieses ewige Smalltalken und Kontakte pflegen, um Karriere zu machen, wäre mir gegen den Strich gegangen. Auf jeden Fall berichtete mir mein Vater damals von seinen Einsätzen in der Notfallmedizin und das war tausend Mal spannender als die typischen Arztserien im Fernsehen. Zwei Geschichten blieben mir dabei besonders in Erinnerung. Ein LKW-Fahrer hatte einen schrecklichen Unfall. Das gesamte Fahrerhaus war im Prinzip wie ein Akkordeon zusammengeschoben unterhalb der Hüfte, die Beine eingequetscht, eine technische Rettung war notwendig. Der Fahrer war bei Bewusstsein, hatte aber massiv Schmerzen. Sie stabilisierten ihn mit reichlich Flüssigkeit und sagtem ihm noch, er solle seine Frau und Kinder anrufen und sich verabschieden, weil man nicht wüsste, wie es ausgehen wird. Das hat er noch getan. Als dann die technische Rettung begann, sah man das ganze Ausmaß des Unfalls. Der arme Mann hatte eigentlich keine Beine mehr, er ist binnen Sekunden verblutet, ohne dass man etwas hätte machen können. Es ist eine bedrückende Geschichte, aber damals hat mich der Körper und die Medizin fasziniert.

Als zweite Geschichte berichtete mir mein Vater von einem jungen Motorradfahrer, der mit 18 seine erste Tour machen wollte. Natürlich war er zu leichtsinnig und in einer Kurve gestürzt und im hohen Bogen durch die Luft mit voller Geschwindigkeit gegen einen Baum geflogen. Mein Vater war der Notarzt, der die Erstversorgung machte und ihn dann mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus brachte. Er dachte damals, dass der junge Mann es nicht schaffen würde. Ein halbes Jahr später klingelte das Telefon. Am anderen Ende war der junge Motorradfahrer, der wochen darauf verwendet hatte, herauszufinden, welcher Notarzt ihm das Leben gerettet hat, nur um Danke zu sagen. Ich kriege dabei immer noch Gänsehaut. Das ist genau der Antrieb, den man als Arzt am meisten hat. Vergesst Witze aus Scrubs aller Fame, Frauen und Geld. Ich glaube, wenn man sich den echten Verdienst eines Arztes ansieht, kann keiner sagen, dass wir gierig sind. Wir kämpfen um das höchste Gut, Gesundheit und das Leben. Wieviel das jedem wert ist, sei ihm selbst überlassen. Was aber den meisten meiner Kollegen heutzutage fehlt, ist ein simples Danke. Viel zu sehr wird doch die Medizin heute als selbstverständlich angesehen. Damals war das Danke eines Motorradfahrers für mich das Zünglein an der Waage gewesen, Medizin zu studieren.

Damals, kurz vor meiner Entscheidung, was ich denn nun studieren will, riet mir mein Vater dringendst von der Medizin ab. Es wird irgendwann langweilig, du wirst viel buckeln, es macht dich auf Dauer krank. Der einzige Vorteil ist, der Job ist krisensicher. Du wirst immer schnell einen neuen Job finden. Auch in den schlechtesten Wirtschaftszeiten: Ärzte braucht man immer. Niemals hätte ich gedacht, dass er so recht behalten würde.
Jetzt in diesem Moment bin ich recht froh darum. Auf andere Aspekte hätte ich verzichten können. Aber das ist der erste Schritt in ein bisschen mehr Perspektive. Ein kleines finanzielles Polster, das man ggf. brauchen kann, da Chris ja nun so wunderbar kostspielige Ideen hat: einfach eine neue Yacht kaufen zum Beispiel...

Wenigstens könnt ihr dank seiner teuren Ideen mit uns die schönsten Ecken Griechenlands entdecken.

Schaut doch hier direkt nach eurem nächsten Törn! Bis dahin immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel!

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