Summer of Sail

Looking for Tomorrow

Hat Spongebob schon gestreut?

Was dann folgte war eine Odyssee an Untersuchungen. Ich war in meinem Krankenhaus und bei meinen Kollegen und obwohl es ein Freitagnachmittag war, wurden mir noch an diesem Tag alle „Staging-Untersuchungen“ ermöglicht. Ein CT des Brustraums, denn das Ding kann bereits in die Lunge gestreut haben. Ein weiterer Kollege aus der Radiologie schaute sich unmittelbar meine Bilder an. Kein Rundherd in der Lunge. Durchatmen und nochmal im Gehirn kramen, wohin diese Teile eigentlich genau immer streuen würden. Lunge, Gehirn sehr unwahrscheinlich, am wahrscheinlichsten in die Leber. Eigentlich macht man auch ein CT des Bauchraums, aber man entschied sich aufgrund meines Alters und wahrscheinlich auch meines Kollegenstatus, mir ein teureres MRT anzugedeihen. Darauf mussten wir jedoch warten bis zum Nachmittag. Wir saßen also im Wartebereich des MRT. Viele andere Patienten vor uns. Mein Gott, wie unbequem solche Wartebereiche sind. Kein Licht, keine Unterhaltung. Ein paar Schundblätter und dein Kopf, der viel lieber grübeln möchte. Meine Mutter fragt nach. Was ist, wenn das Ding schon gestreut hat? Wo genau sitzt das Ding denn? Sind 5cm groß für so ein Ding? Ich entschied, dass das Ding einen Namen braucht. Und meiner Mutter schoss „Spongebob“ in den Kopf. Er sei nervig und sie mag ihn nicht. Passt doch. Das Ding wurde Spongebob getauft.

Schließlich durfte ich ins MRT. Über eine Stunde drehten sich die Magnetspulen. Ich atmetet ein und aus, hielt die Luft an und durfte endlich raus. Mein Kollege wartete bereits. Wir schauten die Bilder zusammen an. Die Leber ist frei. Gänsehaut. Mama neben mir drückt erleichtert meine Hand. Keine Metastase, aber ein riesiger Befund im Mastdarm. Mein Chef von der Bauchchirurgie kommt dazu. Schaut sich die Bilder an und urteilt zügig: das ist ein Operom. Das muss raus. Und dann kommt eine Frage, die sich in mein Hirn brannte und mich über Monate hinweg beeinflussen würde. Ein lieb gemeintes und unbedachtes: „Was machst du denn für Sachen?“ Ich kann doch nichts dafür. Oder doch? Bin ich schuld? Was ist schuld? Warum eigentlich genau ich?

Ist es dann noch heilbar?

Für solche Gedanken blieb kaum Zeit, denn mein Radiologe sagte, dass im CT vom Brustraum ein großer Lymphknoten links beim Schlüsselbein sei. Der Wächterlymphknoten, der eigentlich auf den Magen aufpasst. Der ist grenzwertig groß. Den sollte man anschauen. In mir schreit es: nein, nein, nein. Der darf nicht betroffen sein. Sie reden neben mir, wie sie den untersuchen könnten. Von mir kommt nur die Frage: Wäre es dann noch heilbar? Meine Mutter schluckt. Der Chefarzt schaut mich an und erklärt, dass man mich dann ehrlicherweise nicht mehr heilen kann. Damit wurden wir ins Wochenende entlassen. Am Montag wird im Ultraschall bei einer FNAC (Feinnadelaspirationszytologie) mit einer Nadel der Lymphknoten angestochen, damit er untersucht werden kann. Dann weiß man mehr. Bis dahin bleibt die Frage, ob ich überhaupt noch kämpfen darf…

Ich rief meinen Vater an und sagte ihm, dass es Krebs ist. Er bricht auf der Arbeit zusammen und weint. Ich habe ihn noch nie weinen sehen, aber das wohl einer dieser wenigen Momente. Er kommt am Abend noch vorbei und drückt mich so fest er kann, will mich fast nicht mehr los lassen. All dieses Leid zu sehen, bricht mir das Herz. Ich fühl mich schuldig. „Was machst du denn für Sachen?“ Und ich liege alleine in meinem Bett und weine. Und suche jemanden zum Reden, der vielleicht mir Kraft geben kann, ohne selbst darunter zu leiden. Und wer fiel mir da ein? Dieser verrückte Typ von Tinder: Chris.

Wahrscheinlich hätte niemand anderes mir so gut beistehen können wie er es in dem Moment tat. Ich dachte nicht, dass er auch weinen würde, denn getroffen hatten wir uns nie zuvor. Aber er war für mich da, als ich ihn brauchte, unabhängig davon, ob ich es verdient hatte.

Schließlich war es Montag. Ich fuhr alleine hin. Auf zum Ultraschall für eine Ganzkörperbeschleimung. Die Leber wird nochmals untersucht. Und dann schließlich der Lymphknoten. Man findet ihn nicht. Eine gute halbe Stunde sucht man frustran. Man entscheidet, dass er nicht da ist und das ein falsch positiver Befund war im CT ohne Auswirkungen. Keine Metastasen, keine Tochtergeschwülste. Man bespricht nun meinen Fall in der Tumorkonferenz und dann wird operiert.

Aber ich wollte doch immer Familie haben.

Pure Erleichterung bei allen Beteiligten. Kämpfermodus also an. Spongebob’s Freunde dürfen weiter unter Wasser im Kinderkanal rumgeistern. Spongebob muss sterben, ich werde wieder gesund. Nach der Tumorkonferenz ruft man mich an. Operation baldmöglichst. Chemo wahrscheinlich, weil ich noch so jung bin. Da muss man aber sehen, ob und wieviele Lymphknoten im Bauch bereits befallen sind. Zur Sicherheit machen wir noch ein PET CT. Dabei wird einem radioaktiver Zucker gespritzt, damit alle betroffenen Zellen leuchten. Damit kann der verschwundene Lymphknoten auch nochmal abgeklärt werden, weil das entscheidend ist für meine Therapie. Plötzlich wieder ein Fragezeichen, aber mein Kämpfermodus ist schon aufgewärmt, sodass ich es kaum wahrnehme.

Am Abend ruft meine Schwester an via Skype. Wir mögen unsere Emails öffnen. Die Mail beginnt mit: Liebe Tante Karo. Millisekunden dauert es bis ich begreife, dass meine Schwester schwanger ist. Ich freue mich mit ihr. Sie will mich motivieren, damit ich kämpfe. Wir legen auf und ich heule. Ich liege im Arm meiner Mutter und weine. Während mein Leben in Scherben liegt, ist meine Schwester glücklich und kriegt, was ich mir schon so lange wünsche. Ich beginne über meine Zukunft nachzudenken. Ich wollte doch immer Kinder haben, eine Familie gründen. Einen Mann und Kinder. Als Oma im Schaukelstuhl meine Enkel im Garten rennen sehen. Mit einer Chemo werden meine Eizellen zerstört. Unglaublich aber wahr, ich war die einzige, die daran in dem Moment gedacht hat. Alle waren im Hier und Jetzt mit OP und Chemo beschäftigt, dass niemand daran dachte, dass es ja auch ein danach geben soll. Unter dem Begriff Kinderwunschklinik stellt man sich immer verzweifelte Paare vor, die seit Jahren ein Kind wollen. Traurig, aber noch trauriger, wenn man dort alleine hin muss mit meiner Diagnose. Grandioserweise durfte man in der Frauenklinik erstmal durch die Entbindungsstation laufen auf dem Weg zur Kinderwunschabteilung, vorbei an frisch gebackenen glücklichen Mamas mit ihren süßen perfekten gesunden Babys. Ich sitze dort vor meiner ehemaligen Professorin, die mir mal eine solche Operation im OP Saal erklärt hatte und berichte ihr. Wir fassen einen gemeinsamen Plan: zunächst einen halben Eierstock entfernen. Dann nach der großen OP mit Hormonen stimulieren und schließlich Eizellen entnehmen zum Einfrieren. Für die Chemo kriege ich ein Mittelchen, das mich in die Wechseljahre versetzt, damit keine Eizellen anreifen und vom Chemozeug zerstört werden. Mehr kann man nicht machen. Ob es reicht, kann niemand voraussehen. 5 Eizellen können gewonnen werden. Sie sind bis heute eingefroren. Ich nenne sie liebevoll meine 5 Halblinge, weil sie nur zur Hälfte fertig sind und auf ihre Komplettierung zum Einsatz warten.

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