Summer of Sail
Bild von Karo nach der Chemo

I’m a survivor

I’m a survivor… Diese Worte treiben mir immer noch einen eiskalten Schauder über den Rücken. Irgendwie klingt dieser Satz noch sehr surreal und unwirklich. Ich habe lange gebraucht, um ihn überhaupt über die Lippen zu bekommen und selbst jetzt schwingt da eine große Unsicherheit bei mir mit, was glaube ich verständlich ist.
Ich habe sehr lange überlegt, ob ich überhaupt über meine Geschichte erzählen möchte. Aber im Endeffekt dazu entschieden. Warum? Aus mehreren Gründen:

  • Ich muss lernen, mich nicht dafür zu schämen.
  • Ich kann beispielhaft vorangehen.
  • Es hilft mir, dieses Thema weiter zu verarbeiten.
  • Es erklärt, warum ich mit Chris nun mein Leben umkrempeln möchte.

Die Geschichte ist lang und schwer zusammenzufassen. Sie wird also in mehrern Blogs folgen. Wo fange ich also an? Am besten chronologisch und ganz vorne…

Die ersten Symptome

Im April 2016 ging es relativ harmlos los. Ich hatte Bauchweh. Relativ unspezifisch, oder? Wer hatte nicht schon mal Bauchweh? Einen kleinen Krampf nach scharfem Essen. Das Mettbrötchen war nicht mehr ganz gut. Ich habe zu viel Schokolade gegessen. Ich habe gerade super viel Stress. Da war ein Gewürz am Essen dran, was ich nicht vertrage. Ich bekomme bald meine Periode. Einem fallen doch tausend gute Gründe ein, die so ein bisschen Bauchweh ganz gut erklären können.
Ich wusste auch, dass ich auf bestimmte Gewürze reagiere. Aber das war irgendwie anders. Es mag vielleicht ein unangenehmes und ekliges Thema sein, aber bei den Symptomen kurz unumgänglich: Eigentlich kamen meine Schmerzen eben immer dann, wenn ich zur Toilette für das große Geschäft musste. Und es war nicht immer Durchfall. Nach und nach entwickelte sich das ganze so, dass ich mehrfach hintereinandergehen musste und eigentlich nicht das Gefühl hatte, dass alles raus ist. Und dann kam mein schicksalhafter Tag. Es zerriss mich fast vor Schmerzen. Ich bin nicht gläubig, aber ich hab auf der Toilette gebetet, dass es vorbei ist. Ich hab gefleht, dass es aufhört, und blind ins Nichts versprochen, dass ich mich kümmere und zum Arzt gehe. Und in dem Moment sah ich auf mein Toilettenpapier und sah nur noch Schleim und Blut.

Mist. Ich bin Ärztin und weiß, dass Blut im Stuhl ganz sicher nichts bedeutet. Hellrot noch viel weniger gutes als dunkelrotes, wenn ihr mich persönlich fragt. In meinem Kopf schossen die Gedanken hoch: chronisch entzündliche Darmerkrankung, Morbus Chron, Colitis ulcerosa, Hämorrhoiden, Krebs. Ich weiß noch, wie ich dort saß. Ganz alleine. Niemand da. Und du denkst das erste Mal, dass es eben auch Krebs sein könnte. Wahrscheinlich habe ich eben nur daran gedacht, weil ich Ärztin bin, aber das war einer der einsamsten und angsteinflößendsten Momente in meinem Leben.
Ich schrieb mit meiner Schwester und traute mich schließlich nach viel Rumplänkelei, was es dann alles nicht so Schlimmes sein, auch diesen Gedanken auszusprechen. Klar, auch sie hielt das für unmöglich, aber ich musste ihr versprechen, das abzuklären.

Die ersten Untersuchungen

Am nächsten Tag rief ich bei meiner Hausärztin an. Ich fragte, ob ich extra vorbeikommen müsste oder einfach so einen Termin ausmachen könnte und sie eine Überweisung ausstellt. Ihre Antwort war: „Mit 26 eine Darmspiegelung. Ist das nicht etwas übertrieben?“. Für mich eben nicht. Ich rang es durch. Einen Termin zur Darmspiegelung bot man mir in 4 Wochen an. Nach einiger Diskussion legte man den Termin schließlich vor, weil ich Blut im Stuhl hatte, nahm man den Ernst der Lage wahr.
Mein Aufklärungsgespräch führte mit mir ein netter Kollege, den ich von der Arbeit bereits kannte. Er war auch nicht beunruhigt. Er hielt es für mehr als wahrscheinlich, dass ich einfach vielleicht ein Eis mit Salmonellen gegessen hatte. Zur Sicherheit klären wir es jetzt eben einmal ab und dann sind alle beruhigt. Stuhlproben sollte ich noch abgeben für eine Erregersuche und zur Bestimmung von Calprotectin, was auf entzündliche Darmerkrankungen deutet, und dann ist es eben ein Reizdarm. Nun ja, dazu kam es aber nie.
An dem Freitag stand meine Darmspiegelung in kurzer Narkose an. Eigentlich sollte meine Mutter mich hinfahren und mein Vater mich abholen. Dann wäre ich dort ungefähr 3 Stunden nach der Untersuchung alleine und müsste halt warten. Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gefühl. Ich weiß noch wie ich zu meiner Mutter bei einer Autofahrt sagte: „Mama, irgendetwas stimmt mit mir nicht.“ Mamas spüren das wohl auch. Sie opferte einen Urlaubstag, damit sie bei mir sein konnte nach der Untersuchung. Wahrscheinlich gab es nie wieder einen so gut investierten Urlaubstag wie diesen.
Am 10. Juni 2016 lag ich schließlich auf diesem Untersuchungstisch. Die Nadel war gelegt. Das Propofol gespritzt. Und wieder wach wurde ich in diesem Aufwachraum. Mein Kollege vom Aufklärungsgespräch kam auf mich zu und hatte diesen Blick. Man sieht dem Arzt an, wenn er etwas zu berichten hat, was ihm schwerfällt. Ich fragte ihn Daumen hoch oder Daumen runter. Der Daumen ging nach unten. Ich fragte ihn kurz: Krebs? Und er schaffte es nur zu nicken und nahm meine Hand, um sie festzuhalten. Jetzt gerade steigen mir die Tränen in die Augen, wenn ich an diesen Moment zurückdenke. Damals war ich dazu nicht in der Lage. Wahrscheinlich realisiert man die Auswirkung dieser Aussage in einem solchen Moment nicht. Vielleicht war ich innerlich darauf vorbereitet. Nicht vorbereitet war ich jedoch darauf, es meiner Mutter zu sagen, die im Wartebereich saß und von allem nichts ahnte. Mein Kollege übernahm die schwere Aufgabe, einer Mutter zu sagen, dass ihr Kind schwerkrank ist. Er brachte sie zu mir und sprach es auch: Es ist zu 99% Darmkrebs. Meine Mutter reagierte wohl so, wie man normal reagieren würde. Sie klammerte sich an 1%, stellte fest, dass 99% sehr viel sind und Angst und Trauer übermannten sie. Und in dem Moment spürte ich etwas ganz Anderes in mir: Kampfgeist, Wille und eine feste innerliche Überzeugung:

„Mama, das wird jetzt scheiße, aber daran werde ich nicht sterben.“

    5 Kommentare

  1. 29. Juni 2020
    Antworten

    Vielen Dank für diesen Blog-Beitrag über Darmkrebs. Meine Mutter hat sich unwohl gefühlt, und ich fürchte, sie könnte ein Problem mit ihrem Dickdarm haben. Ich werde sie so bald wie möglich zu einem Arzt bringen, um festzustellen, ob sie Darmkrebs hat.

Hinterlass deinen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.